Fantastisch! Ganz grosse Klasse! Wunderbar! Das ist das Vokabular eines Mannes, der sein ganzes Berufsleben mit Superlativen arbeitete. Einer, der noch heute mit Adjektiven jongliert wie einst Cuche mit seinen Latten. Er ist ein Mann der Worte, scharf in der Analyse, klar in der Aussage, immer respektvoll im Ton. Seine Stimme ist Kult, mehr noch, sie ist nationales Kulturgut. Wenn seine Stimme am Radio ertönte, wusste jedes Kind: Jetzt kommt Sport. Und diese unverwechselbare, einzigartige Stimme gehört Bernhard Schär. Oder wie ihn alle nennen: Berni Schär. Jenem Berni Schär, der während dreissig Jahren jedes Rennen am Lauberhorn für Radio SRF kommentierte.
Schon frühmorgens um sechs Uhr startete er mit der ersten Radio-Liveschaltung. Und das nicht etwa vom warmen Hotelzimmer aus, nein. Berni sendete um diese Zeit bereits aus der Moderatorenkabine im Zielhaus in Innerwengen. Bestens informiert nach einem Telefonat mit dem OK-Präsidenten höchstpersönlich. «Das war mein Brand. Ich hatte die Chance, die Nation so früh und so exklusiv zu informieren.» Mausbeinalleine sei er jeweils unterwegs gewesen. «Der Marsch im Morgengrauen hat mir Motivation und Inspiration für den ganzen Tag gegeben.» Und wer schon einmal die zwanzigminütige Wanderung vom Dorf zum Ziel unternommen hat, kann erahnen, wovon Berni spricht. Die grandiose Kulisse, in den nächtlichen Schatten eines frühen Morgens getaucht, vielleicht bei Schneefall, vielleicht auch schon leise einen strahlenden Wintertag ankündigend. Die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm. Diese Stimmung hat Berni in sich aufgesogen und eine kribbelnde Vorfreude hat sich eingestellt. Vorfreude auf den Renntag natürlich. Aber da war noch etwas anderes. Im Zielhaus wartete ein lauwarmer, duftender, frischer Aprikosenkuchen auf ihn. Immer. Und eine dampfende Tasse Kaffee. Eine gute Seele dort wusste, dass sie Berni damit die grösste Freude überhaupt machen konnte. «Das ist für mich Lauberhorn!» schwärmt er beinahe ergriffen.
Schwärmen kann er überhaupt wie kaum ein anderer. Aber bei ihm wirkt es nie übertrieben oder abgehoben. Es ist echte Begeisterung. Für den Sport. Für die Athletinnen und Athleten, aber auch für all die Leistungen hinter den Kulissen. Auf die Frage, was für ihn sonst noch «besonders Lauberhorn» sei, nennt er als Erstes: «Was mich schwer beeindruckt hat, sind die unglaublich vielen Leute, die hier arbeiten, damit ein solcher Anlass überhaupt zu Stande kommt.» Rund zweitausend Personen sind es am Renntag. Und dann zählt er sie alle auf. Das OK, die Ressortleiter, Streckenabschnittsleiter, das Militär, der Zivilschutz, all die zahlreichen, freiwilligen Helferinnen und Helfer. «Was war das manchmal für eine Sisyphusarbeit! 4,5 Kilometer Rennstrecke von Neuschnee zu befreien. So oft wurde das Unmögliche möglich gemacht. Davor habe ich den allergrössten Respekt und ziehe meinen Hut.»
Aber natürlich sei es vor allem die Abfahrtsstrecke selbst, die das Lauberhorn zur Legende mache. Man denke zum Beispiel an die engen Passagen, wie Kernen S oder Wasserstation, die einen besonderen Reiz am «Hore» ausmachten. «Wenn da noch das Wengerenalp-Bähnli über die Brücke fährt! Das ist Nostalgie pur!», lacht er begeistert. Hinzu komme, dass nirgendwo sonst auf der Welt eine Abfahrtsstrecke so hochalpin starte, in solch atemberaubender Kulisse, und dann durch natürliches Gelände, wie über einen Hundschopf und eine Minschkante, führe. «Das ist einfach unique! Ausgezeichnet! Unvergleichlich!», gerät Schär einmal mehr ins Schwärmen. «Das Lauberhorn hat seinen eigenen, urtümlichen, ja gar antiken Charakter, es ist aus dem Weltcup-Kalender nicht mehr wegzudenken.» Und nach der Abfahrt ist vor dem Slalom. «Da habe ich mir jeweils das Knöpfli gerichtet und mich extrem auf die Spezialisten gefreut. Dieser Slalomhang ist noch das Sahnehäubchen, das Tüpfli auf dem i. Hier gewinnen nur die Besten der Besten. Wir hatten immer Spettacolo!»
Und er muss es wissen. Er hat sie alle gesehen, die Rennstrecken dieser Welt. Berni Schär, der drei Jahrzehnte mit dem Weltcuptross unterwegs war, hat auch von fünfzehn Olympiaden vor Ort berichtet. An sechzehn Weltmeisterschaften war er Teil dieser verrückten Skifamilie. So nah dran, wie kaum ein anderer. «Man kannte sich. Die Fahrer kamen auch schon mal auf mich zu.» Seine respektvolle und freundschaftliche Art verhalf ihm zu authentischen und lebendigen Interviews. «Die Mischung der einzelnen Fahrer war immer wieder reizvoll: Hier der sprudelnde Büxi, dort der eher coole Janka. Es hat mich immer wieder tief beeindruckt, wie die Jungs bestrebt waren, gute Antworten zu geben und wie sie im Moment des Gesprächs - trotz des Lärms und des Trubels –konzentriert und fokussiert blieben.» Einen Lieblingsinterviewpartner hat Schär nicht, wen wundert’s. Er mochte sie alle. Jeden auf seine Weise. Über die Jahre sind auch Freundschaften entstanden. Mit Roger Federer, um kurz die Sportart zu wechseln, verbindet ihn eine ganz besondere Beziehung, gewachsen über eine lange, unvergleichliche Sportlerkarriere. Spricht Federer über Schär, dann wie über einen Freund. Die Chemie zwischen den beiden stimmt und der gegenseitige Respekt ist gross. Zu Silvano Beltrametti, der im Dezember 2001 in Val d Isère so tragisch verunglückte, hat er noch heute einen guten Draht. «Ich denke jeden Tag an ihn. Er ist für mich ein Riesenvorbild, wie man mit so einem Schicksal umgehen kann.» Es ist bezeichnend, dass auf der Silvano-Beltrametti-Weltcup-Piste an der Lenzerheide ein Streckenabschnitt nach dem Reporter benannt ist. Die «Schär-Wende» war ein Geschenk des OK’s zu seiner Pensionierung. «Das ist in der Tat eine besondere Ehre und eine grosse Wertschätzung», sagt Schär bewegt.
Und da ist sie wieder, diese Stimme, die Emotionen 1:1 transportiert und damit die Menschen berührt. Schär ist ansteckend! Seine Stimme ist ansteckend! Das ist seine ganz besondere Gabe. Leidenschaft und Freude, Mitgefühl und Begeisterung über den Äther und bzw. über das digitale Netz direkt in die gute Stube zu bringen. Er ist einer, der wohl nicht nur mich mit seiner mitreissenden Art zu Tränen rühren konnte. Nur über das Radio, wohlgemerkt. Keine Gestik, keine Mimik, nur die Stimme.
Dabei vergisst man fast, wie locker er mit Jahrzahlen, Resultaten und den dazugehörigen Namen jongliert. Sein Wissen schöpft er aus den eigenen Erfahrungen und Erlebnissen, gespeichert in Kopf und Herz. So muss er zum Beispiel weder nachdenken noch googlen, wann Franz Heinzer am Lauberhorn gewonnen hat. 1992 war’s. Er erinnert sich genau. «Heinzer war damals in Topform und hat dominiert. Deshalb war sein Sieg in Wengen mehr als verdient und eine sportliche Genugtuung.» Heinzer wurde später Co-Kommentator an der Seite von Schär.
Berni Schär fieberte aber nicht nur mit den Schweizern mit. Vielmehr freute er sich, wenn ein Favorit - egal welcher Nationalität - auch am Lauberhorn seine beste Leistung zeigen konnte. Wenn eine faire Austragung den Besten als Sieger hervorbrachte. Er ist überzeugt, dass sich jeder Rennfahrer den Lauberhornsieg im Palmarès wünscht. Ein Sieg am «Hore» sei für viele Athleten sogar gleichbedeutend mit einem Weltmeistertitel.
Einen Weltmeistertitel müsste man auch Berni Schär verleihen. Ist er doch schlicht und einfach Meister im Geschichten erzählen, ihm zuzuhören ein Genuss. «Früher hatten wir kein Handy, da war ich noch lange Zeit mit einem Spulentonband am Berg unterwegs.» Eine Liveschaltung sah in den Neunzigern noch ganz anders aus als heute, wo iPhone und SRG Reporterapp sogar Interviews direkt vom Sessellift aus ermöglichen. «Für ein Live-Interview habe ich mich mit Fredy Fuchs jeweils auf der Kleinen Scheidegg in einem kleinen Raum getroffen.» Kurz hält er inne und überlegt: «Ob es dieses Stübchen heute überhaupt noch gibt?» Item. Was dieses Zimmer damals so wertvoll machte, war der feste Telefonanschluss. So fest, wie das Telefon selbst. Apparat und Hörer waren noch fest mit einem geringelten Kabel verbunden. Das Interview begann mit einem Anruf im Radiostudio Zürich. Dann die Schaltung auf den Sender und erst dann wurde es ernst. Schär sprach seine Frage in den Hörer, reichte ihn an Fuchs, der sprach seine Antwort in den Hörer und reichte ihn wieder zurück, damit Schär seine nächste Frage stellen konnte. Alles live. «Das war eine Art Pionierradio», lacht Schär bei dieser Erinnerung.
Wengen und das Lauberhorn sind für Berni Schär in all diesen Jahren zu einer zweiten Heimat geworden. «Ja, es ist immer wie ein Heimkommen», sagt er und fügt hinzu: «Für mich ist es eine Riesenehre, dass ich jetzt ans Lauberhorn zurückkehren darf, um die Legendentalks am Grimschbiel zu führen. Hier bin ich am richtigen Ort. Das ist meine Kompetenz. Und es erfüllt mich mit Freude, darf ich all meine Erfahrung nach 30 Jahren noch einmal ausspielen. Darf ich als Pensionär noch einmal aufleuchten, noch einmal all meine Erkenntnisse, die ich gewonnen habe, zusammen mit den Athleten einem breiten Publikum zeigen. Und kann hoffentlich gute Aussagen kreieren und schöne Momente bescheren. Das ist wunderbar.»
Und fantastisch! Und einfach ganz grosse Klasse! Um bis zum Schluss bei Bernis Vokabular zu bleiben. Berni Schär ist am Lauberhorn längst selbst zur Legende geworden. Seinen persönlichen Streckenabschnitt braucht er nicht mehr. Aber womit man ihm glaubs immer, stets und jederzeit eine Riesenmegafreude machen könnte: mit einem lauwarmen Aprikosenkuchen.
Irene Graf, Februar 2024