Hund-schopf oder Hunds-chopf?

Der Hundschopf

Also wie jetzt: Hunds-chopf oder Hund-schopf? Ersteres liesse sich damit erklären, dass der Hundschopf tatsächlich Ähnlichkeit mit dem Kopf eines Hundes aufweist. Letzteres könnte bedeuten, dass mit «Schopf» das Synonym für «Haar» und mit Hundschopf deshalb das Haupthaar eines Hundes gemeint ist. Wie nun aber ein alteingesessener Ur-Wengener berichtete, ist «Schopf» eben auch der Ur-Wengener-Ausdruck für «Stein». Und was passiert, wenn ein Stein in Wengen aussieht wie ein Hund? Voilà … er wird zum Hund-Schopf. Gern geschehen!

Was aber ist nun dieser Hundschopf genau? Stell dir vor, es ist Winter und du stehst auf Skiern im Starthaus der legendären Lauberhorn-Abfahrt auf 2315 Meter über Meer. Du atmest noch einmal tief in den Bauch hinab und stösst dich dann mit drei, vier kraftvollen Stockstössen ab. Die erste Schlüsselstelle ist der Russisprung. Diese meisterst du problemlos. Darauf folgt der Traversenschuss, wo du innerhalb von fünf Sekunden von 100 auf 130 Kilometer pro Stunde beschleunigst. Kurze Zwischenfrage: Hast du schon einmal beim Autofahren auf der Autobahn den Kopf aus dem Fenster gehalten? Versuch es (aber nur, wenn du nicht selbst am Steuer sitzt) und du bekommst eine ungefähre Ahnung davon, wie sich dieses Tempo für einen Skirennfahrer anfühlt. Gut.

Jetzt kommst du zu dieser langgezogenen Rechtskurve, um sogleich in die nächste Linkskurve einzubiegen, die glücklicherweise dein Tempo drosselt, bevor du nun den spektakulären, einzigartigen und mit 41 Grad Neigung steilsten Streckenabschnitt der Lauberhornabfahrt – den berühmt-berüchtigten Hundschopf – ansteuerst! Hier trennt sich zum ersten Mal das Spreu vom Weizen. Bist du risikofreudig und mutig? Dann fährst du direkt auf ihn zu. Bist du eher von sensibler Natur, dann legst du spätestens jetzt einen Zwischenschwung (oder eine Vollbremsung) ein. Ich nähme es dir nicht übel, schliesslich beträgt der Abstand zwischen dem Felsen links und dem Fangnetz rechts maximal fünf (!) lächerliche Meter. Kurzum: Die Stelle ist steil, eng und respekteinflössend. Nur, was soll man machen, wenn die wichtigste Regel bei einem Abfahrtslauf lautet: Wer am schnellsten vom Start ins Ziel fährt, hat gewonnen? So ist es heute und so war es damals, vor bald hundert Jahren, als Skirennfahrer Ernst Gertsch im Jahr 1930 die Lauberhornrennen gründete. Damals gab es weder eine Linienführung noch Tore. Der Schnellere war der Gschwindere. Und der schnellste Weg ins Tal ging nun einmal über den Hundschopf! FIS-konform geht definitiv anders. Umso schöner, dass er bis heute seinen eigensinnigen Charakter behalten hat. 

Item. Du drückst also beide Augen zu, hebst exakt auf der Kante zwischen Fels und Fangnetz ab und fliiiiegst hinaus ins Bodenlose –bis zu vierzig Meter weit. Gut, dass die Pistenbauer alles dafür tun, dass du nicht nur schön fliegst, sondern auch sicher landest. Apropos sicher: Würde man die Anfahrt zum Hundschopf heute noch wie vor zwanzig Jahren stecken, kämen die Athleten – diese Kraftpakete mit ihren Raketen an den Füssen – massiv zu schnell angerauscht. Aus diesem Grund wurde ungefähr zehn Meter vor dem eigentlichen Sprung eine künstliche Rampe gebaut, die den Fahrern einen optimalen Absprung gewährleisten soll – und die Flugbahn dadurch auf etwa vierzig Meter verlängert. Das ist viermal so weit, wie ein Zehn-Meter-Sprungturm hoch ist – also ziemlich weit.

Mag sein, dass der Hundschopf oldschool ist, weshalb ihn einige der Skirennfahrer liebevoll «Jurassic Park» – analog dem Hollywood-Blockbuster aus dem Jahr 1993 – nennen. Doch ich frage dich: Was wäre Jurassic Park ohne Dinosaurer? Das Lauberhorn ohne Hundschopf? Der Hundschopf ohne das Lauberhorn? Ich wage es kaum auszusprechen, aber vermutlich nicht viel mehr als ein Felsen, der aussieht wie der Kopf eines Hundes. 

Text: Doris Büchel, Autorin, Liechtenstein